Aus dem Tagebuch eines Asteroiden
Einsamer Wanderer im All,
geplagt von Mühsal und von Qual.
Das Licht der Sterne
strahlt in der Ferne.
Stille und Schweigen
tanzen den Reigen.
Endloser Fall.
Musst weiter wandern,
einsam nur wandern
im trostlosen All.
Eintrag 236891
Wie lange ist es jetzt schon her, dass ich armer, einsamer Materieklumpen ziellos durch dieses leere, schwarze Weltall sause ohne die Aussicht, jemals wieder ein Zuhause zu finden? Ich weiß es nicht mehr, habe einfach irgendwann aufgehört, die Tage zu zählen. Oh, wie aufregend es doch einst war - damals, als ich mich noch in meiner Heimat tummelte! Dort traf ich mich meistens mit anderen Asteroiden. Wir spielten dann gemeinsam und vertrieben uns die Zeit mit Wettkämpfen. Es war wirklich ein Spaß, so nahe aneinander vorbeizupreschen, wenn man sich nicht streifte oder gar zusammenprallte! Bei solch einer Kollision habe ich schon mal gut ein Drittel meiner Masse verloren, worüber mich meine Freunde aber hinwegtrösteten, indem sie sagten, meine Figur sei nun viel schlanker als vorher. Ich segelte also frohen Mutes durch das Sonnensystem. Mal war ich weit draußen und stattete den Kometen einen Besuch ab oder ließ mich durch die dünnen, kaum sichtbaren Schleier der Gaswolken treiben; mal raste ich durch das Zentrum, begrüßte die Monde der äußeren Planeten und hielt einen Schwatz mit ihnen. Den Planeten selbst antwortete ich jedoch nur artig, wenn sie mich etwas fragten. Im Nachhinein muss ich gestehen, dass ich Ehrfurcht vor ihnen hatte. Außerdem hätten sie mich fangen und in eine Umlaufbahn sperren können; daher wahrte ich stets den gebührenden Abstand und machte ihnen lediglich aus der Ferne meine Aufwartung. - Noch mehr Respekt als vor den Planeten hatte ich bloß vor unseren Sternen. Wie schön und erhaben sie waren! Eng umschlungen vollführten sie einen liebreizenden Tanz. Nein, ebenbürtig waren sie sich nicht, und trotzdem waren sie ein Paar. Er, der Blaue Riese, gab den Rhythmus an. Sie, ein Gelber Zwerg, zerrte an ihm spürbar. Manches Mal schimpfte er so lautstark, dass das ganze System bebte, er komme wegen ihrer Masse gehörig aus dem Takt. Er zwang sie immer näher, wollte sie ganz für sich haben, wie's eben bei Verliebten üblich ist. Dabei bemerkten die zwei gar nicht, dass sie das System destabilisierten, bis sich ein Planet nach dem anderen verabschiedete. Nun tanzen die beiden Sterne gänzlich ohne Begleitung, aber sie haben sowieso nur Augen füreinander. Ihnen fehlt wirklich jeder Gemeinsinn. Wie hätten sie uns das sonst antun können! Sie stürzten uns ja allesamt in eine Krise, denn ohne ihre Unterstützung waren wir den Launen des Kosmos völlig ausgeliefert. Sosehr wir uns auch mühten, in Kontakt zu bleiben - letztlich drifteten wir auseinander. Jetzt irrt ein jeder für sich allein durch das unermesslich große Universum. Ich für mein Teil suche nach einer neuen Heimat, einem Strand am Meer der Unendlichkeit. Wie lange ich bereits rastlos durch das All wandere? Ob ich jemals irgendwo ankomme? Ob ich je wieder eine verwandte Seele finde? Keine Ahnung. Im Moment bist du, mein geduldiges Tagebuch, meine einzige Gesellschaft. Oh, wie satt ich es habe, so einsam und verlassen zu sein! Nichts als schwarze Leere um mich herum! Die blinkenden Sterne sind weit entfernt. Es dauert Äonen, auch nur einen davon zu erreichen. Trotzdem muss ich es versuchen. Zeit habe ich ja; sie ist, so traurig es klingt, das Einzige, was mir geblieben ist. Ich lasse mich treiben, immerzu vorwärts treiben. Mal sehen, wohin mich das Schicksal führt.
Eintrag 284829
Eine Ewigkeit bin ich nun schon stur geradeaus geschlendert. Wie leer der Kosmos doch ist! Kaum, dass mir mal ein verirrtes Proton begegnet, geschweige denn ein Körper von ansehnlicher Masse und Intelligenz. Kommunikation ist das, was mir am meisten fehlt. Wann habe ich das letzte Mal die kristalline Struktur meines Gesteins durch Lachen erschüttert? Da ist keiner mehr, der mit mir scherzt, der mich tröstet, mit dem ich reden kann. Es ist finster - langweilig und finster - langweilig und einsam. Ich bin so allein! Ist da jemand in den Tiefen des Alls, der mich hört? Hallo, ihr da draußen! Wo seid ihr? Wohin soll ich gehen? Keine Antwort. Nur Stille und Schweigen.
Eintrag 348631
Nichts Neues. Besondere Ereignisse: keine. Habe niemand getroffen, nichts erlebt. Die Sterne sind fern; ich sehe sie bloß als winzige Lichtpunkte. Es ist mir bisher nicht gelungen, nahe genug an einen von ihnen heranzukommen. Rase eben weiter durch das All. Was soll ich auch sonst machen? Habe langsam die Nase voll vom Wandern.
Eintrag 398466
Heute habe ich in der Ferne einen Nebel gesichtet. Werde mal die Richtung ändern und darauf zusteuern. Vielleicht regt sich dort was. Mann, bin ich aufgewühlt! Das Universum lebt!
Eintrag 398480
Bin nach langer Reise endlich bei diesem Nebel angekommen. Was soll ich dir sagen, liebes Tagebuch? Ich bin zu früh, viel zu früh - wahrscheinlich um einige hundert Millionen Jahre. Habe nichts als Gas und ein paar dumme Staubpartikel vorgefunden, die nicht mal schlau genug sind, guten Tag zu sagen. Nun, zumindest gibt es Anzeichen für Leben! Werde gleich kehrtmachen und wieder den alten Kurs einschlagen.
Eintrag 398499
Keine Materie, kein Leben, keine verwandten Seelen. Nur Leere, Finsternis, Einsamkeit und - ehe ich's vergesse - schwache Gravitationswellen, nicht der Rede wert. Werde ihnen folgen; irgendwohin müssen sie ja führen. Habe mir heute überlegt, was ich tue, wenn sie mich zu einem Schwarzen Loch bringen. Ich spiele mit dem Gedanken, mich hineinzustürzen, bevor ich noch am Alleinsein zugrunde gehe. Ach, wenn's doch bloß ein solches Schwarzes Loch wäre! Ich muss mich nur treiben lassen, einfach die Spur verfolgen ...
Eintrag 398543
Hallo, Tagebuch! Bin so aufgeregt, weiß nicht, wie und wo ich anfangen soll. Seit geraumer Zeit lasse ich mich ja von jenen schwachen Gravitationswellen leiten. Jetzt stell dir vor, wie mir zumute war, als mir klar wurde, dass sie mich genau zu einem dieser Sterne bringen. Ich habe ihn zu Beginn gar nicht wahrgenommen, genauer gesagt, er erschien mir einfach zu unbedeutend. Dass gerade er mich anlockt! Er ist wohl ziemlich nahe, aber nicht sehr lichtstark. Sei gegrüßt, du kleine gelbe Sonne! Ich komme zu dir ...
Eintrag 398562
Habe gerade einen dünnen Gasschleier durchdrungen und bin mir sicher, auf der richtigen Fährte zu sein. Da ist ein Sonnensystem mit allem Drum und Dran. Ich hab's geschafft! Bald bin ich da, bald habe ich wieder Gesellschaft!
Eintrag 398589
Habe in der Ferne Körper entdeckt - vereiste Gesteinsbrocken - Kometen! Morgen werde ich ihnen einen Besuch abstatten. Morgen, schon morgen! Mein Herz hüpft vor Freude.
Eintrag 398590
Endlich! Da sind Leute! Hier ist Leben! Bin heute diesen Kometen begegnet. Ach, was sind die redselig! Und wie gut mir ihre Schwatzhaftigkeit tut nach diesem Zeitalter des Schweigens! Ich habe die Sonne gesehen. Na, sie ist wirklich ein mickriges Ding! Sorgt ja kaum für etwas Licht, doch sie ist besser als gar nichts. Zumindest hält sie meine neuen Kameraden in der Umlaufbahn und an mir zerrt sie auch ein bisschen. - Die Kometen meinten, in letzter Zeit geschähen einige seltsame Dinge. Da seien ein paar sonderbare Geräte vorbeigeflogen, die zwar reichlich Energie besäßen, selbst aber jedweder Seele entbehrten. Diese Maschinen hätten das System zwar mittlerweile verlassen, es kämen jedoch immer neue. Die Kometen erörtern gegenwärtig die Frage, ob es sich bei jenen eigenartigen Besuchern, die nie mit ihnen sprechen und recht geschickt jeden Kontakt vermeiden, um intelligente Lebensformen handelt. Ein großer Vertreter der Schweifsterne versicherte mir, dass es im inneren Sonnensystem einen kleinen Planeten gibt, auf dem diese Metallkörper hausen. Da die Kometen hier draußen offenbar gefangen sind und es nur sehr selten einem von ihnen gelingen dürfte, sich durch Schlingerbewegungen mal aus der Bahn zu befreien, bin ich mir nicht im Klaren darüber, ob ich ihren Bericht für bare Münze nehmen soll. Einige ihrer Art, so sagten sie, hätten das System schon durchstreift und wüssten genau, wie es da drinnen aussehe. Ich bin aber von jeher ein misstrauischer Typ und will mich lieber selbst davon überzeugen. Morgen nehme ich hier Abschied und dringe in das Innere des Sonnensystems vor. Ach, ist das ein aufregendes Abenteuer!
Eintrag 398593
Habe den äußersten Planeten des Systems erkundet. Es ist ein kleiner, vereister Gesteinskörper, der sich kaum von meinen Bekannten aus der Schar der Kometen unterscheidet. Er hat eine recht exzentrische Umlaufbahn um das Hauptgestirn und wird von einem viel zu großen Mond umkreist, der ebenso beschaffen ist wie der Planet selbst und etwa ein Drittel von dessen Masse hat. Kein Wunder also, dass die beiden sich ständig zanken und necken und aufeinander einwirken. Jedenfalls sind sie viel zu sehr mit sich selbst und ihrem Gegenüber beschäftigt, um einen so unwichtigen Asteroiden wie mich auch nur wahrzunehmen. Unbeirrt ließen sie mich passieren und fragten nicht, woher ich komme und was das Ziel meiner Reise ist. Ich muss schon sagen, als Außenposten eines Sonnensystems sind sie völlig unbrauchbar. Bin mal gespannt, wer mir noch begegnet in diesem eigenartigen, gottverlassenen Winkel der Galaxis.
PS: Fühle wieder die Einsamkeit in mir hochklettern. Oder ist es vielleicht Heimweh? Ich muss eingestehen, dass ich mir möglicherweise zu viel versprochen habe.
Eintrag 398602
Habe heute den nächsten Planeten erreicht. Er ist relativ groß, aber es gibt beeindruckendere. Farbe: blaugrün. Hauptbestandteil: Gas. Hat einen beachtlichen Wirbel, einen dunkelblauen Fleck gleich einem Auge. Unzählige kleine Körper hat er in Dienst genommen und in eine Umlaufbahn gezwungen. Ich hielt daher vorsichtshalber Abstand von ihm. - Wir führten ein kurzes Zwiegespräch, bei dem ich bemerkte, dass er leicht verstimmt ist. »Bin viel zu weit weg«, klagte er. »Kriege gar nicht mit, was sonst im System passiert. Mein innerer Nachbar und ich sind seit langem zerstritten. Er denkt, er sei was Besseres, bloß weil er ein bisschen größer ist als ich! Da ich so klein bin, nehmen mich die anderen Gasplaneten gar nicht ernst, und die festen Planeten im Zentrum halten uns Gasriesen sowieso für langweilig.« - »Und die Sonne, was ist mit ihr?«, fragte ich ihn. - »Die! Die betrachtet uns doch nur als Abfallprodukt! Wir sind ihr einerlei. Sie findet höchstens noch den Fünften ganz amüsant. Um uns hier draußen schert sie sich überhaupt nicht.« Auf diese Weise jammerte der Planet den lieben langen Tag. Jetzt habe ich wirklich Lust auf fröhlichere Gesellschaft.
Eintrag 398608
Hatte gestern so was wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Der nächste Planet ist dem letzten sehr ähnlich, genauso missgelaunt, ebenfalls blau bis blaugrün, erpicht auf unterwürfige Begleiter und ahnungslos, was die wichtigen Vorgänge im Zentrum des Systems anbelangt. Ich war nicht in der Stimmung, mir wieder dasselbe Geheul anzuhören, habe deshalb die Kurve gekratzt und nur im Vorbeigehen gefragt, ob er denn wisse, wo diese Maschinen wohnten. Er meinte, sie starteten vom Dritten. Er könne sich zwar nicht dafür verbürgen, aber das Gerücht halte sich hartnäckig.
Eintrag 398615
Wer hätte gedacht, dass ich das noch mal erlebe! Ich bin verliebt - bis über die Ohren in ihn verliebt! Die Rede ist vom sechsten Planeten. Er ist gelb, rosa, gräulich, das heißt, seine Wolkenbänder haben so viele Schattierungen, dass ich es nicht beschreiben kann. Er ist gewaltig und erhaben schön mit all den kleineren und größeren Monden. So mancher davon ist ja fast eine Welt für sich. Es ist tröstlich, dass auch andere Vertreter meiner Spezies seinem Charme erlagen. Doch soll ich dir sagen, was mich am meisten an ihm fasziniert, was mich so bezaubert, dass es mir beinahe den Verstand raubt? - Es sind seine Ringe, diese feinen Gebilde aus lauter Staubpartikeln, Steinchen und Steinen bis hin zu ziemlich mächtigen, kompakten Materieklumpen, die alle einträchtig an seinem Äquator um ihn herumtanzen. Welch hübscher Reigen! Und Eiskristalle bringen seinen Schmuck zum Glänzen. Oh, wie herrlich, wie perfekt er ist! Es gibt nicht vieles in der Galaxis, was ihm an Anmut gleicht. Nun, vielleicht meine Heimatsterne - sie waren noch reizender, wenn ich mich recht entsinne. (Da, wo das Herz wohnt, ist man eben zu Hause, wie ein altes Sprichwort sagt.) Heute habe ich mich ja bedeckt gehalten, aber morgen spreche ich ihn an, meinen Angebeteten, den beringten Schönling!
Eintrag 398616
Es ist ein Jammer! Mir bricht fast mein steinernes Herz. Er ist so eiskalt und egozentrisch, nur in sich selbst vernarrt. Redet wohl nicht mit kleinen Asteroiden, die bloß durch Zufall seinen Weg kreuzen. Eine Stelle als Außenmond hat er mir angeboten. Er könne da jemanden brauchen, der die Staubkörner am Rand seiner Ringe zur Vernunft bringe. Da falle es dann und wann doch mal einem ein, sich auf Nimmerwiedersehen zu verabschieden. Das komme aber nicht häufig vor und daher sei es kein harter Job. Außerdem habe er jetzt keine Zeit mehr, sich mit mir zu unterhalten. Das sei ohnehin öde und unerquicklich, denn mein Dialekt habe etwas Niederes an sich. Am Nachmittag wolle er mit seinem inneren Nachbarn plauschen; dafür müsse er sich noch ein wenig herausputzen. - Liebes Tagebuch, was sagst du nun? Solch ein eitler Kerl, anmaßend und unfreundlich! Für den soll ich arbeiten? Bin ich etwa so lange quer durch die Galaxis gereist, um hier am Ende der Welt ein paar Staubkörner zu hüten? Nein, so haben wir nicht gewettet! Von der Liebe bin ich vorerst geheilt. Morgen mache ich mich auf zum Nächsten. Der Fünfte soll ja der Günstling der Sonne sein ...
Eintrag 398619
Habe heute dem fünften Planeten einen Besuch abgestattet. Er ist wirklich riesig und hat herrliche gelbliche, rötliche und bräunliche Wolkenbänder, zudem aber einen furchterregenden Wirbel, der mich pausenlos verfolgt und wie ein rotes Auge anstarrt. Leider kommt er noch dünkelhafter daher als sein äußerer Nachbar und war sich gänzlich zu schade, mit mir zu plaudern. (Wahrscheinlich bildet er sich auf seinen guten Draht zur hiesigen Sonne verdammt viel ein.) Nur anlocken wollte er mich! Na, vielleicht ist das ja seine Bestimmung. Wie dem auch sei, Begleiter hat er meiner Ansicht nach genug. Sie sind aufeinander eingeschworen, völlig auf ihn fixiert und reden nicht gerne mit Fremden. Käme ich dem Planeten zu nahe, da wär's augenblicklich um mich geschehen. Die Gasmassen würden mich doch zu einem Nichts zerreiben! Zum Selbstmord bin ich im Moment jedenfalls nicht bereit. Deshalb habe ich mich abseitsgehalten, um seinem Gravitationsfeld zu entgehen. Nun ziehe ich weiter.
Eintrag 398623
Endlich habe ich sie gefunden - Asteroiden wie ich! Morgen stelle ich mich meinen neuen Kameraden vor.
Eintrag 398624
Wieder eine Enttäuschung! Habe selten so einfältige Artgenossen kennengelernt. Wortlos ziehen sie aneinander vorbei. Sogar Grüppchen haben sie gebildet - ein paar Leute hier, ein paar Leute da. Wenn sie dann schon mal was zueinander sagen, beschuldigen sie sich nur gegenseitig der schlimmsten Verfehlungen. »Wir könnten so viel mehr sein, als wir jetzt sind!«, bedauerte einer. »Wenn bloß diese Trottel dort drüben nicht wären! Sie schaffen es einfach nicht, die Form zu halten, und lassen sich vom Großen nebenan immer wieder auseinanderreißen. So wird nie ein Planet aus uns!« - »Dafür ist es ja wohl auch ein wenig spät!«, warf ich spöttisch ein. »Warum seid ihr denn mit eurem Dasein nicht zufrieden? Warum wollt ihr unbedingt einen Planeten bilden?« - »Weil du ein Niemand bist als Asteroid!«, lamentierte es nun weinerlich aus der anderen Richtung. »Wir haben einen denkbar schlechten Ruf im System. Das liegt an den inneren Planeten. Sie lassen kein gutes Haar an uns. Angeblich verunstalten wir ihre Oberflächen! Ha! Als ob man da noch was verunstalten könnte!« - So schoben sie sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu und machten einander für ihren üblen Leumund verantwortlich. Zu ihnen will ich mich nicht auf die Dauer gesellen - das steht fest. Ach, wäre ich nur zu Hause bei meinem Sternenpaar, dem Blauen Riesen und dem Gelben Zwerg, und all meinen Asteroiden-Freunden! Selbst die Planeten nebst ihren Monden waren dort irgendwie netter. Ich habe Heimweh und fühle mich einsam hier draußen kurz vorm Ende der Galaxis.
Eintrag 398628
Der vierte Planet ist ein selten dämlicher Vertreter seiner Art. Ist schon ganz rot vor lauter Rost, tot und staubtrocken und behauptet doch allen Ernstes, er hätte eine bedeutende Vergangenheit! Da sei Wasser auf seiner Oberfläche gewesen und habe Kanäle gebildet. Na gut, das kaufe ich ihm noch ab. Aber die Sache mit den Bioformen ist eine Lüge! Da lachen ja sogar seine beiden Monde. Will mit diesem Aufschneider nichts zu tun haben und reise morgen weiter.
PS: Ein paar von den seltsamen Maschinen sind hier gelandet. Bin auf ihre Heimat wirklich gespannt.
Eintrag 398629
Habe den sagenumwobenen Dritten in der Ferne gesehen. Er ist blau! Wundervoll, dieses Blau! Kann es kaum erwarten, ihn endlich aus der Nähe zu betrachten. Woher mag nur diese satte Farbe rühren?
Eintrag 398631
Es gibt sie doch - Planeten mit einer lebenden Oberfläche! Bisher habe ich all das Gerede von den Bioplaneten für Geschwätz, für bloße Gerüchte, für Ammenmärchen gehalten. Ich traue meinen Augen nicht! Es ist tatsächlich eine dünne Schicht um ihn herum - eine Atmosphäre. Wolken ziehen über ihn hinweg. Er hat Meere und es gibt Land: festen Boden mit grünen und gelben Flächen sowie Berge, teilweise mit Schnee bedeckt. Außerdem sind da Lichter auf der dunklen Seite! Existieren am Ende sogar diese legendären Wälder? Oder noch andere Lebewesen? Ob sie das Werk jener Maschinen sind? Wenn es all das wirklich gibt, dann dort unten. Ich muss es erkunden, ich brauche Gewissheit. Egal, was mit mir passiert, wenn ich durch diese Schicht dringe. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!
Eintrag 398633
Wurde heute mit Raketen begrüßt. Die Sprengköpfe explodierten herrlich. Nichtsdestotrotz ist das ein gefährlicher Willkomm. Mich hätte ja glatt eines dieser Geschosse treffen können! Dann wär's aber aus mit mir. Der Planet hat sich schließlich entschuldigt und mir erklärt, nicht er sei für jenen unfreundlichen Empfang verantwortlich, sondern ein paar eigenartige Kreaturen, die ihn schon an den Rand der Verzweiflung gebracht hätten. Sie würden seit circa einer Million Jahren der hiesigen Zeitrechnung auf seiner Oberfläche ihr Unwesen treiben und all das zerstören, an dessen Erschaffung er seit viereinhalb Milliarden Jahren arbeite. Ich fragte ihn, ob es sich bei jenen Geschöpfen um die Metallkörper drehe. Er meinte jedoch, das seien nur ihre seelenlosen Handlanger. Er habe bereits unzählige Male versucht, mit ihnen persönlich zu verhandeln, aber was er auch anstelle - ob Vulkanausbrüche, Erdbeben oder Wirbelstürme -, sie verstünden ihn einfach nicht. Dabei würden sie ihn tatsächlich für ihr Eigentum und sich selbst für die überlegene Intelligenz im ganzen Sektor halten. Der Planet flehte mich geradezu an, ihm zu helfen, indem ich ihn besuche. Die Auswirkungen meiner Ankunft seien zwar für ihn ein wenig unangenehm, doch er werde es überleben. Das Wichtigste sei letztendlich, das Grundübel - diese missratenen Kreaturen - ein für alle Mal zu beseitigen. Er habe sich alles genau überlegt und die einzig machbare Lösung sei, mit der ganzen Schöpfung wieder von vorn anzufangen. Irgendwo habe sich im Laufe der Zeit wohl ein irreparabler Fehler eingeschlichen, der nicht mehr durch kleinere Korrekturen zu beheben sei. Ich habe mich daraufhin kurzerhand dazu entschlossen, diesem Bioplaneten beizustehen und eine zweite Chance zu geben. Da soll noch einer sagen, dass ich kein Altruist bin!
Eintrag 398634
Der Weg durch die Atmosphäre war ein holpriger Ritt! Der Planet hat mir ganz schön eingeheizt - das hat gezischt und gebrannt! Ich bin auch mitnichten heil angekommen, habe den größten Teil meiner Körpermasse verloren, als ich durch die äußeren Schichten drang. Zum ersten Mal habe ich es also gewagt: Ich bin auf einem Planeten gelandet. Bisher hatte ich da immer so meine Bedenken. Man sagt ja, wer einmal strandet, der bleibt ewig liegen. Doch das macht mir nichts aus. Ich bin lange genug einsam durch die Tiefen des Alls gewandert. Nun bin ich umringt von so viel Leben. Was will ich denn mehr? Ich habe einen dieser sagenhaften Bioplaneten gefunden, von denen die meisten Leute behaupten, es gebe sie gar nicht wirklich, was bestimmt ein Zeichen dafür ist, dass sie recht selten vorkommen. Welch ein Glück also, dass es gerade mir vergönnt war, auf einen von ihnen zu treffen! - Mein liebes Tagebuch, du kannst dir gewiss kein Bild davon machen, was los war, als ich auf der Oberfläche anlangte. Das gab vielleicht ein Platschen, als ich in diesem herrlich blauen, tiefen Meer versunken bin! Jetzt liege ich hier unten auf dem Grund, nur tote Korallen und Muscheln leisten mir Gesellschaft, aber ab und an schwimmen ein paar Mikroben vorbei.
Eintrag 398635
Habe soeben von den Mikroben erfahren, dass da oben die Hölle los ist. Meine Ankunft war wohl ziemlich verheerend und hat einen Großteil jener eigensinnigen Geschöpfe samt ihren Maschinen dahingerafft. Ich selbst bin für eine riesige Flutwelle verantwortlich. Der Planet hat mittels globaler Erdbeben, weltumspannender Feuersbrünste und Vulkanausbrüchen ein Übriges getan und allerorten Zerstörung gebracht. Staubwolken verdunkeln jetzt den Himmel und kein Licht dringt noch durch die Atmosphäre. Alles Leben muss zwangsläufig ersterben! Plötzlich bin ich mir nicht mehr sicher, ob meine Entscheidung richtig war.
Eintrag 398636
Habe heute mit dem Planeten Rücksprache genommen. Er hat beteuert, alles sei in bester Ordnung. Er fühle sich erleichtert wie nie zuvor und ich solle mir keine Vorwürfe machen, denn um die pseudointelligenten Kreaturen sei es wirklich nicht schade. Es seien zwar noch zu viele davon übrig, aber er werde sich selbst um den Rest kümmern. Ich müsse also keine Angst haben, jemals einer von ihnen oder einem ihrer metallenen Helfershelfer zu begegnen.
Eintrag 450074
Wie lange dauert die Ewigkeit? Liege wohl schon Äonen hier unten auf dem finsteren, nassen Meeresgrund. Das Salz nagt an meinem Körper. Es ist eintönig und ich bin allein. Ach, wäre ich doch bloß draußen im All geblieben! Der Planet vernachlässigt mich völlig und ist nur mit seiner neuen Schöpfung beschäftigt. Wie langweilig! Ich verrotte einsam in der Tiefe und keiner nimmt Notiz von mir. Diese Bioplaneten sind in Wirklichkeit eine Plage!
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