In den modernen Zeiten,
da hat man viel zu leiden.
An manchem Leiden ist nur schuld
der viel gepriesene Körperkult.
Wer nicht jung und schlank und schön,
sollte gleich nach Hause gehn.
Wer nicht jung und schön und schlank,
der ist ja fast unheilbar krank.
Wer nicht schön und schlank und jung,
läuft unnütz auf der Welt herum.
Wer nicht nach Ruhm und Reichtum strebt,
der hat weiß Gott umsonst gelebt!
So oder ähnlich denken viele,
die mahlen mit der Lifestyle-Mühle.
Wer nicht Geld hat oder Macht,
über schale Witze lacht,
auf Partys geht und sich betrinkt,
in Oberflächlichkeit versinkt,
zur Erbauung Pillen schluckt,
zu Discomusik rhythmisch zuckt,
sich alle seine Falten glättet,
den Bauch bei dem Chirurgen plättet,
Gewichte stemmt, bis dass er schwitzt,
und auf Designermöbeln sitzt,
der Mode folgt als Sinn des Lebens -
dem sagt man nach, er leb' vergebens.
So greift er um sich überall -
der Wahn nach Perfektion total.
Wer in sein will, muss schon was tun,
darf nicht untätig nur ruhn,
muss sich im Fitnessstudio quälen,
beim Essen Kalorien zählen,
sich schminken und die Haare färben,
für Markenkleidung gratis werben,
am Computer Tasten drücken,
im Internet der Welt entrücken,
fernsehen bis zum Hirnerweichen,
schneeweiß sich die Zähne bleichen,
im Sonnenstudio sich verbrennen,
jeden Trend sofort erkennen,
bis zum Qualmen beider Socken
atemlos durch Wälder joggen.
Schlagwort Kommunikation:
ständige Verständigung
per Handy über ganz Banales.
(Du nervst die andern und bezahlst es!)
Bis in der Erde letzten Winkel
greift jetzt schon der Lifestyle-Dünkel.
Wenn Oma nicht mehr ganz taufrisch,
dann findet sie nun sicherlich -
und da mach ich jede Wette -
ganz schnell die passende Tablette.
Ist sie zu dick, wird sie gleich dünner.
Ist sie zu alt, wirkt sie gleich jünger.
Für Opa gibt's dank Wunderpillen
bald Haare, die die Glatze füllen.
Fett und Falten werden schwinden,
's Gedächtnis wird sich wiederfinden.
Nüchternheit trotz Alkohol -
wirf Pillen ein und dir ist wohl!
Statt Depression nur Heiterkeit,
Schluss mit Schlaf und Müdigkeit!
Kein' Hänger mehr, bist stets bereit,
bist auch potent auf Lebenszeit.
Gibt es irgendein Problem?
Das war damals, ehedem.
Was du dir wünschst, das wird geschehn -
musst nur zur Apotheke gehn.
Genieß dein Leben ohne Verdruss!
Tabletten gibt's im Überfluss.
Schmeiß einfach ein paar Pillen ein,
dann wirst auch du bald glücklich sein.
Kein Mensch muss heute noch verzagen.
's gibt Pillen für alle Lebenslagen.
* * *
Kein Wunder also, dass hienieden
dem Apotheker ist's beschieden,
ein großartig Geschäft zu machen
mit all den fabelhaften Sachen,
die's gibt bei ihm und nur bei ihm,
um Leute wieder aufzubauen.
Da ist es klar, dass vor der Türe
sich die Kunden stauen.
Welch eine Menschenmenge!
Welch maßloses Gedränge!
Die ganze Stadt steht draußen Schlange.
Dem Apotheker wird fast bange.
Ganz mulmig ist ihm ob der Massen.
Sollte er's nicht besser lassen,
die Lifestyle-Pillen zu verbreiten,
so dass die Menschen sich bescheiden?
Doch nein! Zu sehr lockt ihn das Geld,
wenn es an der Türe schellt,
wenn das Glöckchen blechern bimmelt
und kurz darauf die Kasse klingelt.
»Es ist so weit! Lass sie herein!«,
hört man den Apotheker schrein.
Sein Gehilfe rennt hervor
und öffnet ungestüm das Tor.
Die Kundschaft, sie besetzt den Raum.
Und dem Chef war's wie ein Traum.
»Ich bin Ihnen gern zu Willen
und ich hab die besten Pillen.«
Am Abend dann - es ist schon spät -,
kaum dass der letzte Kunde geht,
setzt der Apothekenhüter
vom Tagewerk erschöpft sich nieder.
Obgleich ihn schmerzen seine Glieder,
findet er schnell das Lachen wieder.
»Herrjemine! Heut war was los,
aber mein Gewinn ist groß.
Der ganze Ort war auf den Beinen,
um sich bei mir hier zu vereinen.
Oh, ich kann es ja kaum fassen -
so viel Profit und volle Kassen!
Manch einer gäb' sein letztes Hemd.«
»Sie tun es für den Lifestyle-Trend«,
wirft der Gehilfe zaghaft ein.
»Mein Problem soll das nicht sein!«,
erwidert da entzückt der Chef.
»Ich beherrsch's aus dem Effeff.
Erst wenn all ihre Börsen leer,
kommt auch zu mir dann keiner mehr.«
* * *
Der Apotheker ward's bald leid,
dass ihm verblieb gar keine Zeit:
von früh bis spät im Laden stehn,
die Kunden auf die Nerven gehn ...
Nach einem Jahre war er dank
des großen Interesses krank
und es warf ihn nun gar nieder
ein äußerst schlimmes Nervenfieber.
Doch sein Geschäft war ihm sehr wichtig;
daher befand er es für richtig,
seinem Gehilfen, diesem Dummen,
den ganzen Laden aufzubrummen.
»Du hast ja lang g'nug mitgemacht.
Gib mir auf all die Pillen Acht!«
Sprach's und gab ihm dann den Schlüssel,
bevor er spuckte in die Schüssel.
* * *
Der Gehilfe konnt's genießen,
musst's erst mal mit Sekt begießen,
dass er jetzt nach des Alten Willen
der Herr war über alle Pillen.
Am nächsten Morgen aber dann -
noch bevor die Kundschaft kam -
verließ ihn jäh sein ganzes Glück
durch ein gar peinlich Missgeschick:
Von dem Regal an einer Wand
fällt ihm aus seiner müden Hand
'ne Packung mit 'nem Kopfschmerzmittel.
Dragées rolln über seinen Kittel.
Er beugt sich nieder, hebt sie auf -
so nimmt das Unglück seinen Lauf.
Sein Hinterteil, obgleich er schlank,
rammt plötzlich einen großen Schrank,
und aus den Schubladen allen
kommt die Medizin gefallen,
als ob's von oben Pillen regnet.
Noch nie ist Schlimmeres ihm begegnet.
Auf dem Boden liegen bunte,
eckige, ovale, runde
Pillen weit verstreut herum.
Es ist nur wahrlich allzu dumm,
dass der Gehilfe nicht mehr wusste,
wie er sie deklarieren musste.
Des Verstands beinah beraubt,
legt er die Hände auf sein Haupt.
Was hilft nun gegen Magenkrämpfe?
Was lindert bloß die Blähungsdämpfe?
Ist dies hier gegen Impotenz
oder gegen Pestilenz?
Hilft jenes gegen Rachenkratzen
oder lässt es Haare wachsen?
Was glättet denn die Falten alle?
Was bessert die Funktion der Galle?
Was ist für Nieren, Darm und Blase?
Was wehrt dem Schnupfen in der Nase?
Ist dies ein Abführmittel pur
oder 'ne Verjüngungskur?
Was unterstützt ein schwaches Herz?
Das war ja wohl ein schlechter Scherz!
Es hatte noch nicht mal begonnen,
schon war'n die Hoffnungen zerronnen.
Was sollte er denn jetzt nur machen
mit den ringsum verstreuten Sachen?
Sollte er den Chef gleich fragen,
den so sehr die Nerven plagen?
Sollte er den Laden schließen
und sich das Geschäft vermiesen?
Sollte er den Laden sprengen
und sich an einem Baum erhängen?
Nein, er war der Profis einer,
und so schlau wie er war keiner.
Er würde nicht so schnell verzagen
und es aus dem Stegreif wagen -
öffnet die Tür mit frohem Pfiff.
Er hat alles fest im Griff.
»Hereinspaziert, kommen S' alle her!
Sorgen gibt es nimmermehr.
Ich berat Sie wie gewohnt,
so dass sich der Einkauf lohnt.«
Der Förster, er hat's arg im Rücken,
läuft unter Schmerz, kann sich kaum bücken.
Der Gehilfe tat sich schwer.
Wo nahm er Rheumamittel her?
Der Name stand zwar auf der Liste,
die Packungen war'n in der Kiste,
aber die Kisten waren leer,
neu abgepackt war gar nichts mehr,
und was im Regal gelegen,
lag noch auf dem Boden eben
und war dank dem Gehilfen Tollpatsch
ein einziger Tablettenmatsch -
ungeordnet, durcheinand',
Zweck und Name unbekannt.
Doch der Gehilfe gab nicht auf,
nahm 'ne Verwechslung auch in Kauf
und gab dem Förster in die Hand
'ne Pille, passend zum Gewand,
auf dass die dunkelgrünen Pillen
die Schmerzen in den Knochen stillen.
Und so ging es munter weiter:
Der Adlatus lachte heiter,
gab die grauen Pill'n dem Greise,
für den Bäcker gab es weiße,
für die Feuerwehr die roten,
die gelben für des Postamts Boten,
die blauen nahm die Polizei. -
Der Spuk war damit nicht vorbei.
Jedermann bekam zum Teste
ein Mittel, passend zu der Weste.
Und der Adlatus, überfordert,
hat neue Medizin geordert,
doch man belieferte ihn nie.
(Streik bei der Pharmaindustrie!)
Ob Gärtner, Kaufmann, Architekt -
es half nur der Placeboeffekt.
Und Irrtümer, die gab es reichlich.
Das Chaos, das war unausweichlich.
* * *
Nach elf, zwölf Wochen kam zum Glück
der Apotheker dann zurück,
noch etwas wacklig in den Knien.
Man sah ihn aus dem Laden fliehn.
Als er bemerkte, was geschehen,
hat er das Unheil kommen sehen ...
Während er rasch nach Hause lief,
hörte er, wie man ihn rief:
»Herr Apotheker, helfen Sie!
Nun bin ich ja so fett wie nie;
dabei wollt' ich schlanker werden.
Stattdessen hab ich Herzbeschwerden.«
»Herr Apotheker, helfen Sie!
Jetzt fühl ich mich so alt wie nie.
Anstatt dass meine Falten schwinden,
werde ich wohl bald erblinden.«
»Herr Apotheker, helfen Sie!
Mein Kopf ist nun so kahl wie nie.
Ich freute mich auf neues Haar -
jetzt fühle ich mich sonderbar.
Mein Puls geht schnell, mein Mund ist trocken,
kann nur noch in der Stube hocken.
Jeder Schritt tut mir so weh,
wenn ich aus dem Hause geh.
Bei der Hexe schwarzem Kater!
Ich brauch vielleicht einen Psychiater.«
»Herr Apotheker, o weh, o weh!
Bin schlapp und müd' wie eh und je,
hab weiter Frust
statt Liebeslust,
und es plagt mich allenfalls
um Mitternacht ein steifer Hals.«
Da kam der Förster angelaufen.
Ja, es war zum Haareraufen!
»Herr Apotheker, helfen Sie!
Mein Rücken schmerzt mich so wie nie.
In der Apotheke droben
hat Ihr Gehilfe mich betrogen.
Statt Rheumamittel gab er mir
diese grünen Pillen hier.
Zwar will mein Rücken nicht gesunden,
doch meine Warzen sind verschwunden.
Ihr Adlatus, möcht ich wetten,
vertauschte sicher die Tabletten!«
Der Apotheker wohl vernahm,
was da von allen Seiten kam,
mit bitterm, argem Unbehagen,
was sich zuvor hat zugetragen,
was der Gehilfe ausgebrütet,
als er daheim das Bett gehütet.
Der Apotheker war entrüstet,
nach Mord hat es ihn gleich gelüstet.
Wie konnte nur der dumme Junge
mit der flotten, losen Zunge
die Kunden an der Nas rumführen
und ihr Wohlergehen riskieren?
Es würde den Patienten allen
'ne Strafaktion wohl gut gefallen.
Er wollte gleich zu ihr'm Entzücken
das Bürschchen in die Wüste schicken,
ihm 'ne Rechte erst verpassen
und ihn hernach fristlos entlassen.
Der Apotheker, wutentbrannt,
ist zum Geschäft zurückgerannt.
Doch der Gehilfe hat's bedacht,
hat aus dem Staube sich gemacht
und sich versteckt bei einer Feier,
die stattfand an des Dorfes Weiher -
der beste Platz zum Untertauchen.
(Er konnte etwas Glück gut brauchen!)
Indes die rachsücht'gen Patienten
wollten selbst das Blättlein wenden
und über den Gehilfen richten -
es gelang ihnen mitnichten.
Der Eintopfmix aus alten Fetten,
Gemüse, Pilzen und Tabletten
und Wiesenpflanzen aus den Auen
hätt' den Adlatus umgehauen.
Er wäre sicher nicht gestorben,
nur hätt' den Magen sich verdorben
und sich dann auch mal krank gefühlt.
Doch leider - wie das Leben spielt -
war sinnlos alles schlechte Kochen,
da der Gehilfe sich verkrochen.
Stattdessen kam von ungefähr
der Apotheker nun daher.
Ohn' Argwohn aß er mit Genuss
den leckeren Willkommensgruß.
Dann folgte das, was folgen muss:
Der Apotheker, der noch schwächlich,
aß den Eintopf auf gemächlich,
fühlte sich bald wie bekifft,
denn es wirkte schnell das Gift.
Ja, bei der Konstitution
reichen kleine Mengen schon
und des Menschen Lebensfunke
erlischt in der Tomatentunke.
Dem Apotheker ward gar übel,
sein Kopf fiel in den Eintopfkübel.
Er starb ganz still und auf der Stelle. -
Den Laden führt nun sein Geselle.
Und die Moral von der Geschicht:
Trau deinem Apotheker nicht!
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