Wenn Sie ein Laster haben und Ihnen das nötige Kleingeld fehlt, dann ist es wunderbar, wenn Ihnen ein Retter in der Not eine hilfreiche Hand bietet - so geschehen im Fall des Angus Barclay, der sich bereit erklärte, für ein neu entwickeltes Produkt des Zigarettenherstellers UNIVERSAL SMOKING die Werbetrommel zu rühren.
Angus Barclay war dem Tabak verfallen. Rauchen war mehr für ihn als bloß eine Angewohnheit: Es war Leidenschaft und Lebenszweck. Kleidung und Reisen, Bücher und Kino, Musik und Speisen, Kultur und Sport - das alles bedeutete ihm nicht viel. Sein Tag war erst perfekt, wenn eine dieser zierlichen Zigaretten auf seinen Lippen wippte und der aromatische Qualm in Mundhöhle und Rachen strömte. Jeder Zug schien ihm ein Hochgenuss zu sein, jede Wolke des blauen Dunstes eine Offenbarung.
Seit Angus vor drei Jahren seinen Job verloren hatte, hauste er in einer heruntergekommenen Bude, kaufte Kleidung nur noch aus zweiter Hand, war Stammkunde auf Flohmärkten und griff in jedem Geschäft ausschließlich bei Billigangeboten zu. Kurzum, er sparte an allem; denn wer am Tag achtzig Zigaretten raucht, der braucht schon ein hübsches Sümmchen Geld, wenn ihm das sich in Luft auflösende Grundnahrungsmittel nicht ausgehen soll.
Die Suche nach einer neuen Arbeit gestaltete sich für Barclay äußerst schwierig, denn das Auftreten des 30-Jährigen war einfach erbärmlich. Seine schlampigen Klamotten rochen gerade so, als würde eine ganze Schachtel seiner Lieblingsmarke auf einmal angezündet. Er war klapperdürr und seine Haut beinahe grau, das blonde Haar war stumpf und ungepflegt, ein heilloser Wirrwarr aus dünnen, tief ins Gesicht hängenden Strähnen. Seine großen, blassblauen Augen hatten einen müden Ausdruck. Seine Lippen wirkten farblos und schmal, wobei der rechte Mundwinkel sich im Laufe der Jahre unter der Last der unzähligen Glimmstängel leicht nach unten gebogen hatte. Angus' lange, knochige Finger zitterten bereits, wenn er bloß das Wort »Tabak« hörte, und seine Lippen vollführten ständig die für das Rauchen so typischen Bewegungen des Saugens und Blasens, was unweigerlich an ein Fischmaul erinnert. Musste Angus mal ein paar Minuten lang auf sein Laster verzichten, dann wurde er schnell nervös. Ungeduldig kramte er deshalb bei jedem Vorstellungsgespräch in seinen ausgefransten Hosentaschen nach den Zigaretten. Verständlich also, dass alle Arbeitgeber ihn von vornherein ablehnten.
* * *
Eines Tages stieß Angus Barclay auf folgende Zeitungsannonce:
Sie sind Raucher? Sie haben kein Geld?
Hier ist eine einmalige Chance!
Frönen Sie Ihrer Leidenschaft zügellos -
wir bezahlen Sie dafür!
UNIVERSAL SMOKING
Das war die Gelegenheit für Angus - ein Wink des Schicksals! Obwohl die Firma unbekannt war und ihren Sitz in einer dürftig renovierten Lagerhalle hatte, fühlte Barclay sich UNIVERSAL SMOKING von Anfang an verbunden. Der vertraute Tabakgeruch, der sämtliche Büros erfüllte, vermittelte ihm einen Hauch von Geborgenheit und Verständnis. Hier war er unter seinesgleichen; hier war er zu Hause. Bei der Begrüßung bot man ihm auch sofort eine Zigarette nach seiner Wahl aus einem riesigen Sortiment. Beim Anblick dieser Wunderwerke der Tabakindustrie tropfte beziehungsweise qualmte ihm regelrecht der Zahn.
»Wenn Sie für uns arbeiten, dann sind Sie aller Sorgen enthoben«, versprach Mr Doohan, Eigentümer und Spiritus Rector von UNIVERSAL SMOKING. »Sie bekommen ein stattliches Gehalt und werden überdies berühmt.«
Gönnerhaft streckte Doohan die Arme nach den Seiten aus. Dann zog er hastig und voller Gier an einer Zigarre und wippte dabei, mit dem Rücken zum Fenster sitzend, rastlos in seinem Drehsessel. Barclay konnte sein Gegenüber nur undeutlich sehen, denn das Sonnenlicht, das durch die Glasscheiben drang, blendete ihn.
»Sie erhalten an kostenlosen Tabakwaren von uns, was Ihr Herz begehrt«, fuhr Doohan mit knarrender Stimme fort. Er hatte etwas an sich, das man normalerweise bloß bei den Gestalten in Horrorfilmen und Geisterbahnen findet.
»Was muss ich denn tun?«, fragte Angus nervös. Das Herz hüpfte ihm vor Freude bei dem Gedanken an eine solch rauchige, rosige Zukunft. Daher bemühte er sich krampfhaft, ja nichts falsch zu machen.
»Nun, Mr Barclay«, begann Doohan mit schneidender Stimme, »kommen wir zum Geschäft! Ihre Aufgabe ist es, unser jüngstes Erzeugnis weltbekannt zu machen. Es ist ein Produkt -« Hier machte er eine lange Pause und breitete seine dürren Arme aus wie ein Missionar. »Es handelt sich um eine neuartige, von uns selbst entwickelte Zigarettenmarke. Ihr Name ist Doohan's Future. Sie ist mehr als nur Tabak - sie ist eine Revolution! Sie, Mr Barclay, werden für Plakate posieren und Interviews geben. Dabei werden Sie ein spezielles Kostüm tragen. Geld für Kleidung können Sie sich ab sofort also sparen.«
Mit diesen Worten erhob sich Doohan. Er durchquerte den Raum mit wenigen großen Schritten, öffnete einen Holzschrank, wobei dessen Tür laut quietschte, und holte ein sonderbares Gewand hervor. Er packte das greuliche* Ding am Bügel und präsentierte es stolz seinem potentiellen Besitzer. Es war ein eng geschnittener, schneeweißer Anzug. Vorn und hinten am Jackett sowie seitlich an den Hosenbeinen prangte folgende Aufschrift: »Doohan's Future - die ewige Zigarette«.
»Dazu gehören noch ein Paar weiße Schuhe mit braunen Sohlen und eine gelbe, hell gepunktete Kappe. Sie werden wirken wie ein übergroßes Modell unserer neuen Kreation!«, schwärmte Doohan.
Natürlich griff Barclay bei diesem Angebot ohne Zögern zu und ließ sich sogleich in sein zukünftiges Amt einweisen.
Zum Abschied meinte der Boss beiläufig: »Ach Angus - ich darf Sie doch Angus nennen? -, da wäre noch etwas! Als Bote des Geschmacks von morgen sollten Sie freilich mit gutem Beispiel vorangehen und in der Öffentlichkeit Ihre Begeisterung für Doohan's Future auch zeigen. Sie dürfen sie schon mal probieren, mein Junge.« Er schob Barclay eine Zigarettenschachtel in die Manteltasche und tätschelte väterlich seine Wangen.
Freudetrunken stolperte Angus aus dem verqualmten Büro.
* * *
Die folgenden Wochen veränderten Angus Barclays Leben von Grund auf. Dieser Job war das Beste, was ihm je passiert war. Die Kasse klingelte nur so bei dem Traumverdienst, der Kühlschrank war wieder voll, er hatte endlich Geld für seine Hobbys und der Tabak ging ihm nie mehr aus.
Barclay wurde als »Zigarettenmann« populär. Sein Konterfei prangte in jeder Zeitung und auf jeder Schautafel. Er posierte für Werbeplakate und trat in Warenhäusern auf. Dort strömten die Besucher stets in Scharen herbei, denn ein Mann, der wirkt wie eine Zigarette im Großformat, lenkt unwillkürlich alle Blicke auf sich. Kurzum, niemand kam an ihm und Doohan's Future vorbei.
»Doohan's Future - die beste Zigarette seit dem Urknall! ... Doohan's Future - die ewige Zigarette - der ewige Genuss!« So dröhnte es auf allen Kanälen. »Doohan's Future - der Freund, der dich nie verlässt! ... Sei glücklich dank Doohan's Future!«
Schließlich wurde Angus Barclay sogar ein gern gesehener Gast in Talkshows, wo er stets mit Werbetexten antwortete. Als ihn beispielsweise eine bekannte Moderatorin fragte, ob er denn an Ufos glaube, entgegnete er: »Wenn Außerirdische durch die Weiten des Universums zu uns reisen, dann sind sie sicher auf der Suche nach etwas Besonderem, nach etwas, das einmalig ist auf dieser Welt. Ich bin überzeugt, sie suchen nach Doohan's Future, der Zigarette jenseits von Raum und Zeit, dem Aroma des dritten Jahrtausends.«
Kein Wunder also, dass Angus zum Werbestar und zum begehrtesten Junggesellen des Jahres gekürt wurde und Doohan's Future zur meistgerauchten Marke avancierte. Auch Doohan selbst war plötzlich in aller Munde und in den Medien dementsprechend präsent. Er pries sein Produkt als Prototyp einer neuen Generation von Zigaretten an.
»Mit dieser Marke verändern wir die Welt«, versprach er großspurig. »Rauchen ist nicht länger eine Sucht, es gehört zur Lebensart schlechthin. Mit Unterstützung namhafter Wissenschaftler ist es uns gelungen, eine Tabakpflanze zu züchten, deren Inhaltsstoffe der Gesundheit nicht schaden. Abhängigkeit und Entzugserscheinungen können Sie vergessen. Chronischer Husten, Raucherbeine, Lungenkrebs - das sind Gespenster der Vergangenheit. Doohan's Future birgt keinerlei Risiken. Wenn Sie bisher aus Sorge um Ihre Gesundheit stets die Finger davongelassen haben, dann greifen Sie jetzt zu, meine Damen und Herren! Kein schlechtes Gewissen mehr wegen der gierigen Züge! Profitieren Sie von unserer bahnbrechenden Erfindung und lassen Sie sich diesen Genuss nicht entgehen!«
* * *
So trat Doohan's Future, die »ewige Zigarette«, ihren Siegeszug rund um den Erdball an. UNIVERSAL SMOKING stieg auf zum bedeutendsten Tabakkonzern der Welt, Doohans Geburtsort wurde in Doohan City umbenannt, und die Leute pafften um die Wette von Alaska bis Australien, von Frankreich bis Indien, von Südafrika bis Japan, von Chile bis Sibirien. Für Antarktis-Forscher organisierte man einen Lufttransport, und sogar die Indianer in den Reservaten ließen ihre Pfeifen liegen und benutzten stattdessen lieber Doohan's Future für ihre rituellen Handlungen. Zigaretten galten von jetzt an als ebenso lebenswichtig wie Nahrung und Schlaf. Mancherorts kroch der Qualm selbst aus den Kinderwagen. UNIVERSAL SMOKING einte die Menschheit wie nichts zuvor in der Geschichte. Jeder, der etwas auf sich hielt, wurde Kettenraucher. Und die ganze Welt roch wie ein gigantischer Aschenbecher.
Stellen Sie sich, mein lieber Leser, nun den Aufschrei der Empörung vor, als plötzlich üble Gerüchte um gentechnisch veränderte Tabakpflanzen die Runde machten! Von einer Gefahr für Mensch und Natur war gar die Rede! Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer und das blanke Entsetzen griff um sich.
Daraufhin wurden alle Lagerbestände von UNIVERSAL SMOKING umgehend beschlagnahmt und vernichtet. Jede weitere Produktion der Marke Doohan's Future wurde strengstens untersagt. Aus der Konkursmasse der Firma richtete man einen Fonds für eine groß angelegte Reihenuntersuchung aller Doohan's-Future-Konsumenten ein. Zur Erleichterung der führenden Mediziner gab es jedoch bei niemandem Anzeichen eines gesundheitsschädigenden Effekts der »ewigen Zigarette«.
* * *
Einige Monate später beherrschten wieder Mord und Raub, Steueraffären und Bestechungsskandale die Schlagzeilen der Tagespresse. Der Eklat um UNIVERSAL SMOKING und Doohan's Future war längst Schnee von gestern, als Angus Barclay eines Morgens beim Blick in den Spiegel erste Veränderungen an seinem Äußeren bemerkte.
Es fing damit an, dass sich sein Haar bräunlich gelb verfärbte. In den nächsten Tagen nahm auch sein Teint diesen unkleidsamen Ton an. Sein Kopf verformte sich zusehends zu einem Zylinder, die Schultern wurden immer schmaler, der Hals dehnte sich gleichmäßig aus und sein Leib wurde kreideweiß. Angus wirkte bald wie eine Röhre auf zwei Stäben. Die Metamorphose schien aber keineswegs abgeschlossen zu sein, denn schier unerträgliche Schmerzen plagten ihn am ganzen Körper. Vorsichtig tastete er seine Arme und Beine ab. Die Haut fühlte sich an wie dünnes Papier! Es war also höchste Zeit für einen Arztbesuch.
Ratlos stand Barclay nun vor dem Kleiderschrank. Er besaß zwar mehrere dezente Anzüge, doch jene schleichende Verwandlung hatte jede Art von Garderobe unbrauchbar gemacht. Schließlich griff er zu seinem alten Werbekostüm und probierte es an. Es war schon immer ziemlich zylindrisch gewesen und passte selbst jetzt noch einigermaßen.
In großer Sorge um seine Gesundheit verließ Angus das Haus. Der Weg zum Doktor geriet für ihn allerdings zu einer Art Spießrutenlaufen, denn durch seinen Aufzug an den Skandal um Doohan's Future erinnert, beschimpfte und bespuckte manch einer den ehemaligen Werbestar.
* * *
Eine volle Stunde hatte Angus Barclay im Wartezimmer ausgeharrt, bis er endlich an der Reihe war. Wie üblich wollte ihm der Mediziner zuerst Blut abzapfen, doch nach Adern suchten er und seine Arzthelferin vergebens. Als der Halbgott in Weiß einfach aufs Geratewohl zustach, rieselten nur ein paar Tabakblätter aus der Wunde! Der Doktor wurde blass, die Krankenschwester fiel vor Entsetzen in Ohnmacht und die Sekretärin schrie sich die Seele aus dem Leib. Zu guter Letzt erbarmte sich eine Schreibkraft des außergewöhnlichen Patienten, indem sie die Wunde in der Papierhaut kurzerhand mit einem Klebstreifen verband.
* * *
Traurig machte sich Angus Barclay auf den Heimweg. Als menschliche Zigarette, die einst von Fleisch und Blut gewesen war, lief er seinem unvermeidlichen Schicksal entgegen. Das schnelle Gehen und die daraus resultierende Reibung entzündete den Tabak unter seiner Haut. Bei jedem Schritt, den er tat, entwich aus seinen Füßen ein wenig Qualm. Als er in Rauch aufging, rannten die Passanten in Panik weg. Angus' Rumpf verbrannte zu Asche.
Langer Rede kurzer Sinn: In den darauffolgenden Wochen und Monaten verwandelten sich alle Raucher in Zigaretten, loderten irgendwann auf und endeten als körperlose Filterköpfe. Ein Jahr später teilten die übrig gebliebenen Nichtraucher die Welt unter sich auf.
* Rechtschreibregel wurde umgangen, um die Eindeutigkeit des Begriffes zu gewährleisten. (Anm. v. T. D. M.) [«]
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