Tabaka Derby Messer's Gesammelte Horrorgeschichten - Band I
Siebzehn Gruselgeschichten       ©  2005  Heike Hilpert, Selbstverlag
 Titel
 Vorwort
 Inhalt
 Der Mann mit dem Messer
 Das Gespensterschloss
 In Trance
 Der untrügliche Beweis
 Eine ungewöhnliche Hochzeitsnacht
 Der Whiskyvampir
 Spieglein, Spieglein an der Wand
 Die Sterne lügen nicht
 Blumen für Mr Carmichael
 Der Schlüssel
 Ein eleganter Pelz
 Maskerade
 Das Bauopfer
 Das Leben nach dem Tode
 Television City
 Der Vegetarier
 Im Schatten
 Information zur Autorin
 Literaturhinweis
 Impressum
Ein eleganter Pelz

  Ein edler Pelz schmückt eine Frau ganz ungemein - das finden zumindest Kürschner und Händler. Doch abgesehen davon, dass solch ein possierlicher Nerz in seinem Fell viel netter aussieht, als ein Mensch es tut, haben Pelze freilich noch einen anderen Sinn, als nur zu wärmen: Sie sind offen zur Schau gestellter Wohlstand.

  Cathleen Drake litt ihr Leben lang unter Geldsorgen. Für extravagantes Outfit blieb bei ihr nie ein Penny übrig. Sie musste Kleidung nach ihrer Zweckmäßigkeit kaufen und konnte sich nicht nach der Mode richten. Überhaupt fristete sie von jeher ein tristes Dasein. In einer Arbeiterfamilie war sie aufgewachsen und hatte in ihrer Jugend von einer großen Karriere als Schauspielerin oder Fotomodell geträumt, doch letztlich war alles ganz anders gekommen.
  Nach drei gescheiterten Versuchen, sich jenem Ziel zu nähern, hatte sie schließlich die Hoffnung aufgegeben. Mit zwanzig hatte sie dann geheiratet und mit sechsundzwanzig ihr einziges Kind geboren. Mittlerweile war sie achtunddreißig, bediente demzufolge seit nunmehr achtzehn Jahren ihren Ehemann Frank und hatte inzwischen alle Illusionen begraben. Nur manchmal, wenn sie in ihrem alten Ohrensessel saß und in Ruhe über sich und die Welt nachdachte, fragte sie sich, ob dies schon alles gewesen sei oder ob ihr Schicksal sich noch wenden werde. Wie aber sollte das passieren? Ohne eine Menge Geld ließen sich ihre Wünsche nicht erfüllen. Da jedoch bloß Glückspilze und ausgemachte Schurken zu unerwartetem Reichtum gelangen, war das für sie leider ziemlich aussichtslos.
  Und sie hatte so viele Sehnsüchte: einen Job, der das Selbstbewusstsein stärkt, eine Reise um die ganze Welt, ein Auto für sich allein, ein hübsches Apartment im mondänen London, eine Schatulle mit echtem Schmuck, maßgeschneiderte Garderobe und zu jedem Kleid den passenden Schuh, einen Friseur, der ins Haus kommt, einen Butler, der die Tür öffnet und ungebetene Gäste abwimmelt, einen vollen Terminkalender ...
  Stattdessen geschah gar nichts. Ein Tag verlief wie der andere im gleichen Trott. Sie sah lange fern, stand spät auf, kaufte ein, informierte sich in der Zeitung darüber, was sich draußen in der großen, weiten Welt ereignete, bereitete das Essen zu und wartete auf ihren Sohn und auf Frank, der sich, vom Arbeitstag gestresst, träge in den Schaukelstuhl fallen ließ und auch kein Entertainer war. Ab und zu gingen sie dann ins Kino, ins Theater, ins Konzert, in ein Restaurant oder auf eine Vernissage.
  Im Theater der Kleinstadt fühlte Cathleen sich wohl. Dort trafen sich die angesehenen Familien, Fabrikanten und Geschäftsleute, Politiker und Journalisten, Künstler und Ehrenbürger - kurz und gut - alle Honoratioren des Ortes. Cathleen malte sich gerne aus, wie es wäre, wenn sie zu dieser Gesellschaft dazugehören würde, obgleich niemand von ihr Notiz nahm. Man übersah die Drakes geflissentlich, so als seien sie gar nicht anwesend. Und Cathleen imponierte das. Sie stellte sich vor, wie sie selbst an den anderen vorbeiflanieren könnte, wobei sie sie entweder nicht beachten oder nur mit einem huldvollen Lächeln bedenken würde.
  Trotz alledem wurde ihre Freude auf den monatlichen Theaterbesuch seit geraumer Zeit etwas getrübt durch ihren altmodischen grauen Mantel, der ziemlich schäbig wirkte und schon einige Jahre auf dem Buckel hatte, was sein Schnitt natürlich verriet. Neidisch beäugte Cathleen die flauschigen Pelze der vorüberstolzierenden Damen, wenn diese abfällig und missbilligend ihr Filzmäntelchen musterten. Daher lag sie Frank monatelang in den Ohren, sie liebe Pelze ebenfalls und man gönne sich ja sonst nichts. Irgendwann kurz vor Weihnachten war er des Streitens müde und sagte ihr, sie solle sich in Gottes Namen einen Pelz kaufen, koste es, was es wolle. Das sei dann ihr Geschenk.
  Gleich am nächsten Morgen zog Cathleen das Eleganteste an, was sie besaß, um vornehm und respektierlich zu wirken. Schließlich blickte sie selbstkritisch in den Spiegel. Ihr dunkelblondes Haar war glatt und fest. Vereinzelt blitzten graue Härchen. Die Augen waren zwar trübe, aber groß. Der Mund erschien ihr ein wenig rau, die Nase knochig, das Kinn streng. Die ersten Falten, die sich seit fünf, sechs Jahren in ihrem Gesicht tummelten, wurden tiefer. Doch alles in allem sah sie noch recht gut aus. Es wurde Zeit, dass der hübsche Körper wieder eine angemessene Hülle bekam. So begab sich Cathleen auf den Weg.
  Vor dem Pelzgeschäft blieb sie zögernd stehen. Ihr Herz fing vor Aufregung an zu hämmern. Zaudernd machte sie auf dem Absatz kehrt; nur ging sie keine zwei Schritte zurück. Endlich fasste sie Mut und betrat den Laden. - Welch ein Anblick! Ein Prachtexemplar übertraf das andere an Perfektion und Schönheit. Beinahe andächtig betrachtete Cathleen die ausgestellten Pelze. Dann klatschte sie jauchzend in die Hände, so als erlebe sie gerade eine mitreißende Oper.
  Inzwischen hatte ein Verkäufer die naiv-begeisterte Kundin entdeckt und bot ihr eifrig seine Dienste an: »Guten Tag, Madam! Was kann ich für Sie tun? Darf ich Ihnen helfen?«


* * *

  Zwei Stunden später verlässt Cathleen das Geschäft. Ihren neuen Mantel - ein Traum aus strahlend weißem Fell - hat sie gleich anbehalten. Stolz schreitet sie auf die Straße hinaus, schlendert selbstsicher an den Schaufenstern vorbei und bummelt durch die Innenstadt. Alle Passanten sollen sehen, welch herrliches Kleidungsstück sie trägt. Cathleen fühlt sich wie neugeboren, als wäre sie in jenen Pelz hineingewachsen. Er ist so warm und wohlig, umschließt ihren Körper vom Hals bis zu den Knien. Am liebsten würde sie ihn nie mehr ablegen. Zuweilen betastet sie mit den Fingerspitzen vorsichtig die seidigen Härchen. Dieses kuschelige Fell, die schwarzbraunen Knöpfe ... Unglaublich, dass solch ein wundervoller Mantel nun ihr gehört!
  Nach und nach schauen Vorübergehende sie interessiert an. Allerdings haben diese Blicke nichts Neidvolles, eher eine Spur von Argwohn. Unbehagen beschleicht Cathleen. Warum sieht man sie so sonderbar an, mustert sie so misstrauisch? Sie beschleunigt den Schritt. So schnell wie möglich will sie nach Hause und über alles nachdenken. Vielleicht passt ja dieser vornehme Pelz einfach nicht zu ihr. Kann sein, dass die Passanten da einen Anflug von Prahlerei verspüren. Immer finsterer werden indessen die Mienen der Leute. Bald zeichnet sich Ekel auf ihren Gesichtern ab. Eine alte Frau mit Stock rümpft angewidert die Nase. Menschen, die näher kommen, zeigen offen ihren Abscheu. Ein kleiner Junge fängt an, jämmerlich zu weinen.
  Was ist nur los? Ein Schauer läuft Cathleen den Rücken hinunter. Beunruhigt sieht sie sich um. Da wird sie einer roten Flüssigkeit gewahr, die sich hinter ihr die Gasse entlangschlängelt. Entsetzt eilt sie weiter, dreht sich wieder um. Das Rinnsal ist ihr gefolgt. Verzweifelt wechselt sie die Straßenseite, doch als sie nochmals den Kopf wendet, hat das purpurne Flüsschen ihren Weg markiert.
  Cathleen steht wie angewurzelt da, stöhnend und außerstande, sich zu rühren. Sie blickt starr auf ihre Waden, die ein dünner roter Saft benetzt. Direkt aus dem Fell, so als hätte der Mantel ein Innenleben, quellen dunkle Tropfen hervor und spritzen auf das Trottoir. Plötzlich schießt dickes Blut aus der Vorderseite des Pelzes. Die schwarzbraunen Knöpfe wirken wie glasige runde Augen. Sie sehen Cathleen mit dem Ausdruck tiefer Traurigkeit an.
  Der Pelz lebt! Das Fell pulsiert, bewegt sich, sträubt sich. Die glühenden Knopfaugen schauen zornig und vorwurfsvoll. Der Mantel gleicht einem Schlachtfeld. Cathleen hört Robbenbabys wimmern, unter Todesqualen leiden. Sie heulen, sie hecheln!
  Und Cathleen selbst streift den Pelz ab, wirft ihn auf den Bürgersteig und rennt weinend davon.

 TOP 
Alle Rechte vorbehalten.       ©  2005  Tabaka Derby Messer
www.gruselgeschichten-online.de