Tabaka Derby Messer's Gesammelte Horrorgeschichten - Band I
Siebzehn Gruselgeschichten       ©  2005  Heike Hilpert, Selbstverlag
 Titel
 Vorwort
 Inhalt
 Der Mann mit dem Messer
 Das Gespensterschloss
 In Trance
 Der untrügliche Beweis
 Eine ungewöhnliche Hochzeitsnacht
 Der Whiskyvampir
 Spieglein, Spieglein an der Wand
 Die Sterne lügen nicht
 Blumen für Mr Carmichael
 Der Schlüssel
 Ein eleganter Pelz
 Maskerade
 Das Bauopfer
 Das Leben nach dem Tode
 Television City
 Der Vegetarier
 Im Schatten
 Information zur Autorin
 Literaturhinweis
 Impressum
Das Gespensterschloss

  Früher glaubte man an Geister. Heute tut man dies gemeinhin als Humbug ab. Trotzdem werden Gespenster des Öfteren gesichtet. Ist dies also nur Einbildung oder gibt es sie tatsächlich, und wenn ja, wer oder was sind sie? Ferien in einem Spukschloss könnten Klarheit bringen und alle Zweifel beseitigen ...

  Amelia Mason war eine junge, lebenslustige Schneiderin mit keckem Auftreten. Sie hatte blaue Augen und ein spitzbübisches Lächeln. Ihr Gesicht wurde von kurz geschnittenem, natürlich gewelltem, flachsblondem Haar umrahmt. Auch war sie sehr groß und beinahe zu schlank, was wiederum für ihren Job als Model recht nützlich war.
  Gerald Mason war um einiges kleiner als seine Frau und viel zu dünn. Von Beruf war er Diätkoch; daher half er in der Küche gerne. Überhaupt tat er alles, was seine Frau von ihm verlangte. Er war der ungekrönte König im Lande der Pantoffelhelden. -
  Amelia und Gerald hatten kürzlich beschlossen, ihre Sommerferien in einer Burg zu verbringen. Die Hochzeitsreise im letzten Jahr hatten sie an einen anderen Ort verlegen müssen - nun wollten sie sich aber endlich diesen Wunsch erfüllen. So mieteten sie solch ein altes Gemäuer und schon wenige Wochen später wurde der lang gehegte Traum wahr.
  Als die abenteuerlustigen Masons im Dorf X. bei Y. am Flüsschen Z. ankamen, hinkte ihnen ein alter Mann entgegen. Amelia sprach ihn an, um sich nach dem Weg zur Burg zu erkundigen, doch der Greis erschrak sichtlich, als er hörte, was das Ziel der beiden Fremden war.
  »Gehen Sie nicht hinauf! Kehren Sie um!«, beschwor er sie mit einer angsterfüllten Miene, die seine schlimmsten Befürchtungen verriet.
  »Wir möchten hier bloß unseren Urlaub verbringen«, versuchte Amelia den Alten zu beschwichtigen, denn sie glaubte, der Einheimische wolle sie nur vertreiben, um das dörfliche Idyll vor fremden Einflüssen zu schützen.
  »Egal, wie lange Sie bleiben - ein Jahr, einen Tag oder eine Stunde -, sobald Sie das Gemäuer betreten, nimmt das Unglück seinen Lauf. Es wird eine Reise ohne Rückkehr.«
  Amelia war das Geschwätz des Greises unheimlich. »Was meinen Sie damit?«, fragte sie verunsichert.
  »Es gibt dort einen Geist, vielleicht auch viele Geister. Man sieht sie in der Nacht hinter den Fensterscheiben. Ihre weißen Gewänder schimmern wie Nebelschwaden. Sie tanzen durch die Korridore und heulen ihre Gespenstergesänge. Ihre Zahl wächst von Jahr zu Jahr, denn sie behalten ein Stück von jedem, der sich innerhalb der Burgmauern bewegt. Gehen Sie, bevor es zu spät ist!« Der Dorfbewohner wandte sich ab und humpelte langsam weiter, ohne ihnen den Weg gezeigt zu haben.
  »Er glaubt anscheinend selbst, was er da erzählt«, bemerkte Gerald eingeschüchtert.
  »Er ist ein seniler Spinner«, schlussfolgerte die furchtlose Amelia hingegen verärgert.
  Weil keiner der Einwohner ihnen eine Auskunft erteilen wollte, mussten die Masons den Weg allein ausfindig machen, und schließlich gelangten sie auf eine kurvenreiche Landstraße, die stetig bergauf führte und von riesigen Getreidefeldern gesäumt wurde, welche sich bis zum Horizont erstreckten. Überall wucherten Hecken, Sträucher, Disteln und Unkraut. Je näher sie der Burg kamen, desto unwegsamer wurde das Gelände. Bald jedoch zeichneten sich graue Mauern auf einem kegelförmigen grünen Hügel ab.
  Unweit des Eingangstores stand eine runzlige alte Frau, um die Masons zu empfangen.
  »Sind Sie unsere Gäste?«, fragte das Weiblein mit rauer Stimme.
  »Ja«, antwortete Amelia. »Sind Sie die Verwalterin?«
  »Nennen Sie es, wie Sie wollen.«
  »Wohnen Sie auch hier? Und gibt es diese Geister wirklich?«, bestürmte Amelia die Greisin mit Fragen.
  »Ich lebe unten im Dorf und hüte nur die Schlüssel. Sie können beruhigt sein, ich werde Sie während Ihres Aufenthalts bestimmt nicht belästigen. - Was die Geister anbetrifft, ich habe sie schon heulen hören, aber gesehen hab ich noch keinen.«
  Schelmisch mit den Augen zwinkernd, blickte Amelia Gerald an.
  »Ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub«, verabschiedete sich die Alte und sie entfernte sich hurtig.
  Amelia rasselte ungeduldig mit dem großen Schlüsselbund, packte ihren Mann am Arm und zog ihn ungestüm mit sich fort.
  Die Burg thronte schwer und düster auf dem Wiesenhügel. Der trutzige Bau kündete von ihrer einstigen Bedeutung. Geradezu bedrohlich wirkten die Türme, die das Gebäude flankierten, und die mit Zinnen bekrönte Außenmauer, die etwaige Eroberer wohl in vergangenen Zeiten bereits von weitem abgeschreckt hatte. Das Gemäuer war riesig und schon ziemlich verfallen, die groben Quadersteine waren von Efeu bewachsen und halb verwittert. Kleine, vergitterte Fenster schienen die Masons geradezu lauernd anzustarren. Der zugehörige Park war aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung endgültig verwildert. Alles in allem wirkte das ganze Anwesen nicht besonders einladend.
  Am großen Eingangstor angekommen, nahm Amelia den schweren Schlüsselbund zur Hand. Erst der siebzehnte Schlüssel passte. Als die Tür sich knarrend auftat, traten die Masons in eine zweistöckige, kühn gewölbte Halle, deren Wände in die Höhe ragten. Eine breite steinerne Treppe führte in die obere Etage.
  »Das ist eine richtig romantische Burg!«, lachte Amelia freudestrahlend und hüpfte vor Entzücken wie ein Kind. »Hier ist es geheimnisvoll und gruselig - einfach phantastisch!«, schwärmte sie und klatschte begeistert in die Hände.
  »Schauen wir uns die Zimmer an!«, schlug Gerald vor und steuerte auf die Treppe zu.
  »Ja!«, rief Amelia erwartungsvoll, während Geralds Worte noch von den glatten Mauern widerhallten.
  Im oberen Geschoss wurden zwei Korridore sichtbar. Der eine verlief geradeaus nach rechts, der andere nach links. Zuerst nahmen die Masons den rechten Gang in Augenschein.
  Die Schritte schallten vom Steinfußboden wider. Sicher war dies der unbewohnbare Teil der Burg, denn es war stockfinster. So holte Amelia, die gut ausgerüstet war, eine Taschenlampe hervor. Die beiden Besucher zählten die Zimmer, und als sie Tür Nummer dreizehn öffneten, gelangten sie in einen der mächtigen Türme. Darin befand sich eine schmale Wendeltreppe, die an der Mauer entlang steil nach oben führte.
  »Gehen wir rauf?«, warf Gerald fragend ein.
  »Warum nicht? Wenn wir mit dem rechten Flügel fertig sind, schauen wir den linken an. Dann laufen wir erst mal ins Dorf und kaufen uns was zu essen, denn offenbar hat keiner Vorräte besorgt«, legte Amelia fest.
  Über die enge, aus unzähligen hohen Stufen bestehende steinerne Treppe verschafften sich die Masons Zugang zum Dachgeschoss. Dort entdeckten sie jedoch bloß zwei winzige, schmutzige Kammern, die dürftig ausgestattet waren und wahrscheinlich als Abstellräume benutzt wurden. Enttäuscht machte Amelia kehrt und schritt als Erste wieder hinunter. Ihr Mann trottete hinterher.
  Zurück auf dem Korridor, begannen sie mit der Besichtigung des linken Flügels. Nach eingehender Betrachtung stellten sie fest, dass dieser dem rechten glich. Nur war er bei weitem moderner eingerichtet.
  »Hier sieht es nicht so schaurig aus!«, bedauerte Amelia.
  »Dafür ist es bestimmt gemütlicher als drüben. Wir wollen ja schließlich einen angenehmen, romantischen Urlaub genießen und nicht im Dreck ersticken. Hier ist es viel netter, anheimelnd und doch relativ zweckmäßig. Wirklich viel schöner!«, rief Gerald erleichtert aus.
  »Sag mal, fürchtest du dich etwa in unserem trauten Heim? Mein armer Kleiner!«, verhöhnte sie ihn.
  Nach diesem ersten Rundgang durch das Gemäuer beschlossen die Masons, ins Dorf zu wandern, um zu Abend zu speisen.

* * *

  In der einzigen Gaststätte der Ortschaft bestellten Amelia und Gerald ein frugales Mahl. Am Nebentisch saß der Greis, der sie vor den Geistern gewarnt hatte, und schaute betreten zu ihnen herüber. Nach dem Abendessen kehrten die Touristen zur Burg zurück.
  Dort angekommen, wählten die Masons im bewohnbaren Flügel ihr Quartier. Nach nochmaliger Inspektion liebäugelte Amelia mit zwei Sälen, die sie zu Aufenthaltsraum und Schlafzimmer erklärte.
  Der Erstere hatte einen prächtigen alten Kamin, der auf beiden Seiten von jeweils drei aus der Mauer vorkragenden Konsolen flankiert wurde, auf denen Marmorstatuetten postiert waren. In die rechte Wand waren halbrunde Nischen eingelassen, in denen Vasen aus feinem chinesischen Porzellan standen. Edle Seidengobelins belebten die linke Wand. Ein sonderbares Mosaik, dessen Muster an ein Kaleidoskop erinnerte, schmückte die Decke. Auf einem schweren Orientteppich in der Mitte des Zimmers waren zierliche Stühle und ein viereckiger, mit Intarsien verzierter Tisch platziert. Unbestrittener Höhepunkt aber war der glitzernde kristallene Kronleuchter, der den Raum in ein flimmerndes Licht tauchte.
  Das Schlafzimmer war eher schlicht eingerichtet, doch immerhin mit einem herrlichen Parkettboden versehen sowie mit einigen kleineren und größeren Kommoden und Schränken ausgestattet.

* * *

  Amelia und Gerald Mason hatten sich die ersten beiden Tage ihres Urlaubs gut erholt, ohne dass sie etwas von einem Geist hörten oder sahen.
  Am dritten Tag setzte Amelia ihren Mann von ihrem kühnen Vorhaben in Kenntnis: »Heute Abend werde ich mal die vier kleinen Räume im Dachgeschoss aufsuchen. Kommst du mit?«
  »Natürlich, wenn du willst!«, bejahte Gerald ohne Murren.

* * *

  Als die Uhr zwölf schlug, waren es die Masons müde, sich noch länger über die Ereignisse des Tages zu unterhalten.
  »Gehen wir rauf zu den vier Zimmern?«, fragte Amelia ihren Gatten mit herausfordernden Blicken.
  »Gut, gehen wir rauf ins Reich der Gespenster!«, stimmte Gerald zu, obwohl ihm ziemlich mulmig zumute war.
  Die beiden erhoben sich, zündeten die Kerzen auf den zwei eigens für den Nachtausflug bereitgestellten Leuchtern an, löschten das elektrische Licht und stürzten sich in das Abenteuer.
  »Welche Räume sehen wir uns zuerst an?«, wandte sich Amelia unschlüssig an Gerald.
  »Das überlasse ich dir«, erwiderte er und zuckte ratlos mit den Achseln.
  »Dann schauen wir uns die beiden schmutzigen Rumpelkammern auf der anderen Seite an. In den zwei Zimmerchen hier in diesem Flügel vermute ich sowieso nichts Unheimliches.«
  »Na, vielleicht gibt's ja gar keine Gespenster und alles ist nur Aberglaube oder Sage!«, warf Gerald hoffnungsvoll ein.
  »Das wäre zwar keineswegs verwunderlich, aber umso bedauerlicher«, meinte Amelia.
  Als sie im Obergeschoss bei den Räumen anlangten, drängelte sich Amelia nach vorn, presste ihr linkes Ohr an die Wand und versuchte, Laute oder Geräusche zu erlauschen. Gerald hielt sich dabei gerne zurück.
  »Es scheint keiner drin zu sein«, stellte sie ernüchtert fest. »Komm, gehen wir rein!«
  Vorsichtig legte Amelia ihre Hand auf die Klinke und blitzschnell öffnete sie die Tür. (Wahrscheinlich erwartete sie, ein weiß gekleidetes Nachtgespenst springe ihr sofort an die Gurgel, doch es passierte nichts dergleichen.) Die erste Kammer jedenfalls wies keine Besonderheiten auf. Ein wenig enttäuscht betraten die Masons nun das zweite Zimmerchen. Auch hier sah alles ganz gewöhnlich aus. Amelia überprüfte dennoch jeden Winkel des Raumes und jeden einzelnen Schrank, um auch sicher zu sein, dass ihr nichts entgangen war.
  Mit einem Mal stutzte sie und vermochte ihrem Erstaunen kaum Ausdruck zu geben. »Sieh nur!«, stieß sie hervor, denn sie hatte in einer verstaubten, halb offenen Truhe zwei weiße Gewänder aus Tuch entdeckt, die tatsächlich den Eindruck erweckten, als gehörten sie Gespenstern.
  »Meinst du -?«, entfuhr es Gerald, in dessen Augen sich das blanke Entsetzen widerspiegelte.
  »Jetzt geht's richtig los!«, frohlockte Amelia und kostümierte sich sogleich. Als sie Gerald scheu in der Ecke stehen sah, verhöhnte sie ihn: »Du wirst dich ja wohl nicht vor Geistern fürchten. Zieh dir das andere Hemd an! Dann werden wir mal die Gespenster erschrecken.«
  Gerald hatte ein ungutes Gefühl dabei, doch als echter Pantoffelheld beugte er sich dem Willen seiner temperamentvollen Frau. Widerstrebend und missmutig streifte er sich das Gewand über und krallte sich ängstlich seinen Kerzenleuchter.
  »Was willst du mit dem Kandelaber, du Held?«, spottete Amelia. »Der Mond scheint hell genug durch die Fenster. Also mach das Licht aus und komm mit!«
  Abermals gehorchte der brave Gerald und sie verließen gemeinsam das Zimmer.
  Dann befahl Amelia: »Du begibst dich jetzt auf die andere Seite der Burg und ich bleibe hier. Wenn du den Geist siehst, dann treib ihn, so schnell du kannst, herüber zu mir. Alles klar?«
  »Jaja«, versicherte Gerald. Mit zitternden Knien ging er fast geräuschlos den Flur entlang.
  Amelia lief in ihrem Flügel hin und her. Voller Ungeduld erwartete sie das sagenumwobene Gespenst. Mit der Zeit wurde es ihr aber zu eintönig, andauernd treppauf, treppab zu steigen, wo sich doch nicht das Geringste tat. Sie hatte das zweite Stockwerk bestimmt bereits zum zwanzigsten oder dreißigsten Male durchschritten, als sie am Ende des Flügels einer Tür gewahr wurde, die sie bisher übersehen hatte. Beim Öffnen derselben quietschte und knarrte es fürchterlich, was dafür sprach, dass sich hierher schon lange niemand mehr verirrt hatte. Hinter jener Tür erstreckte sich ein verwinkelter Gang. Nun wieder von Spannung erfasst, trappelte Amelia rasch durch den soeben entdeckten Korridor und siehe da! Er führte durch die ganze Burg und endete letztlich im anderen Flügel. Dort angekommen, rieb Amelia sich die Hände vor Freude. Im gleichen Moment bemerkte sie eine weiß gekleidete Gestalt, die mit bedächtigen, schier lautlosen Schritten an der Wand entlangschlich.
  »Huhu! Huhu!«, scheuchte Amelia den Geist mit hektischen Gesten und wildem Kreischen auf und raste mit erhobenen Händen auf ihn zu.
  Er heulte gellend und rannte, so schnell ihn die Füße trugen. Amelia hetzte ihn durch den Geheimgang. Die Jagd machte ihr höllischen Spaß. In seiner Panik entfloh das Wesen durch eine niedrige Tür, die Amelia bisher verborgen geblieben war. Dahinter verlief eine schmale Treppe steil hinab zu einer steinernen Brücke, die über einen Abgrund führte. Das verfolgte Gespenst keuchte, trippelte noch einige Sekunden; dann ertönte ein Schrei, der Todesangst verriet. Unmittelbar danach plumpste es in einen Wassergraben.

* * *

  Inzwischen graute der Morgen. Durch die kleinen, vergitterten Fenster drang matt das Licht herein. Als Amelia in ihrem Zimmer anlangte, bemerkte sie, dass Gerald noch nicht zurückgekommen war.
  »Er nimmt alles wieder viel zu ernst«, erzählte sie mit ihrem Spiegelbild, während sie sich umkleidete.
  Da klappte die Tür im Nebenraum.
  »Gerald, bist du es?«, rief Amelia besorgt.
  »Ja!«, kam prompt die Antwort. Gleich darauf entschuldigte er sich für sein Zuspätkommen: »Heute Nacht hat mich der Schlossgeist überrascht, durch das ganze Gemäuer gejagt und aus Bosheit so lange verfolgt, bis ich letztendlich in einen Wassergraben gefallen bin.«
  »Stell dir vor!«, erklärte Amelia belustigt, wobei sie nahe an Gerald herantrat. »Auch mir ist heute Nacht der Schlossgeist begegnet. Ich habe ihn durch das ganze Gemäuer gejagt und aus Bosheit so lange verfolgt, bis er in einen Wassergraben gefallen ist.«
  Mit einem spöttisch-mitleidigen Blick musterte Amelia ihren Mann und schlang die Arme um den pitschnassen Diätkoch.
  »Dann hast du mich ...!« Entsetzt und zugleich erleichtert sah er sie an.
  »Konnte ich denn ahnen, dass du das bist?«, fragte sie verschmitzt lächelnd und zog Gerald zärtlich an sich, um ihn mit einem leidenschaftlichen Kuss zu entschädigen. »Verzeihst du mir?«, bat sie ihn kokett, sich des Sieges schon gewiss.
  »Was könnte ich dir nicht verzeihen! Aber auf Gespenstersuche gehe ich nicht mehr«, legte Gerald fest.
  »Mein Gebieter hat ein Machtwort gesprochen!«, lachte Amelia schallend und gab sich unterwürfig.

* * *

  Zwei Wochen später reisten die Masons ab, ohne die Gegenwart der Geister jemals gespürt zu haben. Anscheinend handelte es sich also doch nur um eine Legende oder ein Gerücht.
  »Ich glaube, ich habe irgendwas vergessen«, meinte Amelia plötzlich.
  »Ich denke, du hast alles eingepackt!«, wunderte sich Gerald.
  »Vorhin war ich mir sicher, aber seit ich die Burganlage verlassen habe, werde ich das Gefühl nicht los, etwas verloren zu haben«, erklärte sie.
  »Jetzt, wo du es sagst«, bemerkte er, »scheint mir auch, als fehle mir was. Sehen wir noch mal nach!«
  Gerald stellte die Taschen ab. Am Straßenrand packten die Masons ihre Koffer aus und verglichen jedes einzelne Stück mit ihrer Liste.
  »Alles ist da«, bestätigte Amelia unzufrieden. »Trotzdem ist etwas anders als vorher. Ich weiß bloß nicht, was!«, verzweifelte sie fast. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie fühlte sich irgendwie leer. Gerald setzte ebenfalls eine trübsinnige Miene auf, unfähig, seine Empfindungen zum Ausdruck zu bringen.
  Unverrichteter Dinge verließen die Masons schließlich das Dorf X. bei Y. am Z.

* * *

  Am selben Abend humpelte ein alter Mann die Landstraße entlang. Er blickte in Richtung Burg, und was er dort sah, überraschte ihn keineswegs.
  Hinter den Fenstern schimmerten die weißen Gewänder von zwei Geistern, die ihre Hände an die Scheiben pressten und wimmerten.
  »Ich habe die Fremden gewarnt«, murmelte der Greis versonnen. »Es bleibt stets etwas zurück.«

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